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Wir verstehen uns als Lösungsindustrie

15. Wiesbadener Gespräche zur Sozialpolitik: Die Welt im Wandel

Der Titel der 15. Wiesbadener Gespräche zur Sozialpolitik hätte kaum treffender gewählt sein können: "Die Welt im Wandel – Neue Schubkräfte für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Unternehmenswelt". Nach dem Aus der Ampelkoalition und dem Ausgang der US-Wahlen ist das Thema Wandel aktueller denn je. Oliver Coenenberg, Vorstandsvorsitzender des Arbeitgeberverbandes HessenChemie, stellte klar: „Wir brauchen jetzt einen neuen Aufschlag in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Nur mit einer verlässlichen Agenda kann uns der Turnaround gelingen. Wir müssen raus aus der Unsicherheit und rein in den Wachstumspfad.“
 

Transformation auf allen Ebenen: Die Herausforderungen der deutschen Wirtschaft

Die deutsche Wirtschaft steht vor einem umfassenden Wandel. Themen wie Dekarbonisierung, Demografie, Deglobalisierung und die Disruption durch Künstliche Intelligenz verlangen nach neuen, besseren Strategien. Bestimmt wird die Gemengelage zusätzlich durch geopolitische Spannungen und wirtschaftliche Unsicherheiten. Dennoch stand bei den Wiesbadener Gesprächen am 19. November im Kurhaus nicht die Krisendiagnose im Mittelpunkt, sondern die Suche nach Lösungen und neuen Perspektiven.

Oliver Coenenberg, Geschäftsführer Sanofi-Aventis Deutschland GmbH und Vorstandsvorsitzender HessenChemie, betonte in seiner Eröffnungsrede die Kraft des politischen Neustarts, den die Bundestagswahl im Frühjahr 2025 bringen könnte. Mit Blick auf die Herausforderungen nutzte er eine Analogie aus der Welt des Fußballs: „Das dann gewählte 'Team D' muss sich schnell als Einheit auf dem Platz finden und einen Plan entwickeln, um auf internationaler Ebene wieder mithalten zu können." Coenenberg hob die Relevanz der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Deutschland als Rückgrat der industriellen Wertschöpfung hervor und machte deutlich, dass Politik und Unternehmen gemeinsam und beständig daran arbeiten müssen, den Standort attraktiv zu machen.
 

„Unternehmen investieren nur, wenn sie langfristig planen können.”

Für Dirk Meyer, Hauptgeschäftsführer HessenChemie, steht fest: Der Erfolg der deutschen Wirtschaft hängt entscheidend von der Planungssicherheit und einem verlässlichen politischen Umfeld ab. „Unternehmen investieren nur, wenn sie langfristig planen können. Wir erleben jedoch aktuell eine Überregulierung in vielen Bereichen, während gleichzeitig wichtige Reformen in der Sozialpolitik seit Jahren ausbleiben“, kritisierte er. Dennoch zeigte sich Meyer auch optimistisch: „Ich bin zuversichtlich, weil die Aufgaben klar auf dem Tisch liegen. Die Notwendigkeiten sind unstrittig. Es gibt keine Ausweichmöglichkeiten mehr – das Geld, um Probleme zu übertünchen, ist aufgebraucht. Jetzt geht es um die Frage: Packen wir Reformen an, oder nicht? Als Verband werden wir alles daransetzen, dass unsere Vorschläge und Ideen Gehör finden. Wir verstehen uns als Lösungsindustrie, die Mut, Kreativität und Unternehmertum liefert.“
 

Expertenanalyse: Deutschland am Scheideweg

Rund 120 Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen, Gewerkschaft, Politik, Verwaltung, Justiz und Medien waren zusammengekommen, um die “Welt im Wandel” zu analysieren und zu diskutieren. Vielschichtig wurde die Veranstaltung durch die drei thematischen Schwerpunkte: Ökonomie, Ökologie und Soziales, angelehnt an die drei Säulen der Nachhaltigkeit und an Chemie³, der Nachhaltigkeitsinitiative der deutschen Chemie. Durch das Programm führte ZDF-Redaktionsleiter Dr. Norbert Lehmann.

Als Ausgangspunkt für weitere Diskussionen lieferte Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e.V., eine Analyse der gesamtwirtschaftlichen Lage. Hüther sieht die deutsche Wirtschaft am Scheideweg. „Es gilt nun, das Steuer entschieden herumzureißen und unserer Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik eine klare Orientierung an der Wettbewerbsfähigkeit zu geben. Nur durch gezielte Investitionen in die Infrastruktur und eine steuerliche Entlastung der Unternehmen kann die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nachhaltig gesichert werden. Hohe Energiekosten, eine überbordende Bürokratie und der wachsende Fachkräftemangel sind zudem besondere Herausforderungen, die rasch angegangen werden müssen, um den Erfolg der Industrie langfristig zu gewährleisten.”
 

Nachhaltigkeit als Leitmotiv

In einer mit neuesten Daten und eindrucksvollen Bildern unterlegten Präsentation zeigte Dr. Thomas Henningsen, Geschäftsführer und Experte für globale Umweltentwicklung, ORCA gGmbH, die dramatischen Folgen der Klimakrise und des Überschreitens planetarer Grenzen auf. Er betonte die zentrale Rolle der aktuellen Generation und der Wirtschaft, um unumkehrbare Schäden abzuwenden. Henningsen formulierte aber nicht nur Risiken und Kipppunkte, sondern verwies auch auf bestehende Lösungsansätze – deren Einsatz sei jetzt entscheidend. Seine Botschaft: „Nachhaltigkeit FIRST, denn es ist eindeutig besser Teil der Lösung zu sein als Teil des Problems – und fühlt sich außerdem auch viel besser an“.
 

Praxisberichte: Lösungen aus der Wirtschaft

Praktische Beispiele für nachhaltiges Handeln präsentierten Vertreter führender Unternehmen. Hans-Jörg Bergler, Chief Operating Officer, Merz Groupund Vorstandsmitglied HessenChemie, berichtete über die Wachstumsstrategie des Frankfurter Familienunternehmens. Dazu gehören der Bau einer neuen Produktionsstätte in Deutschland und eine Partnerschaft mit einem Private-Equity-Unternehmen. „Trotz der schwierigen Lage glaube ich weiter an Deutschland als attraktiven Wirtschaftsstandort. Weder Klagen noch der Ruf nach Lösungen aus der Politik werden uns helfen. Natürlich brauchen wir mehr Deregulierung und weniger Steuern, aber insbesondere der deutsche Mittelstand kann selbst die Initiative ergreifen. Dann werden wir es schaffen, auch die aktuelle Krise zu meistern, davon bin ich überzeugt“, so Bergler.

Kerstin Oberhaus, Standortleiterin Industriepark Wolfgang, Evonik Operations GmbHund Vorstandsmitglied HessenChemie, ging intensiv auf das vielfältige Engagement des Konzerns im Bereich Nachhaltigkeit ein. Definiertes Ziel ist es, das Leben für heutige und künftige Generationen besser zu machen und einen Beitrag zu einer lebenswerten Zukunft zu leisten – ressourcenschonend, innovationsstark und profitabel. Oberhaus stellte sowohl konkrete Antworten in Bezug auf den Standort Hanau vor, als auch Produkte und Anwendungen, die Herstellungsprozesse in der Breite nachhaltiger machen. „Die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel fördert nicht nur wirtschaftliche Stabilität und Wachstum durch Risikominderung und Nutzung neuer Chancen, sondern unterstreicht auch unsere Verantwortung als Unternehmen, nachhaltig zu handeln und Ressourcen zu schonen. Durch die Einbeziehung unserer Mitarbeitenden und des Betriebsrats in verschiedenen Initiativen schaffen wir zusätzlich eine Kultur der Zusammenarbeit und Innovation, um unseren Standort zukunftsfähig zu gestalten", so Oberhaus.
 

Aufruf zum Optimismus

Abschließend rief Prof. Dr. Martin-Niels Däfler, Hochschullehrer und Experte für Resilienz, dazu auf, den Fokus auf Lösungen statt auf Probleme zu legen. „Wir müssen und sollten uns nicht die rosarote Brille aufziehen; viel wäre schon gewonnen, wenn wir diesen toxischen Pessimismus vermeiden würden.“

Ohne Pessimismus, stattdessen mit Pragmatismus mahnte HessenChemie Hauptgeschäftsführer Meyer in der Talkrunde zum Ende der Veranstaltung, dass anstrengungsloser Wohlstand eine Illusion sei: „Wenn wir unseren Wohlstand und unser Sozialsystem erhalten wollen, wie wir es kennen, müssen wir es ‘reinverdienen‘. Es wird Zeit, neue Kräfte zu entfesseln und die richtigen Anreize für Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen zu setzen."
 

Impressionen zum Thema

Die Impulsgeber der 15. Wiesbadener Gespräche zur Sozialpolitik in der abschließenden Talkrunde (v.l.n.r.: Hans-Jörg Bergler, Prof. Dr. Martin-Niels Däfler, Dr. Thomas Henningsen, Kerstin Oberhaus, Dr. Norbert Lehmann, Dirk Meyer und Prof. Dr. Michael Hüther)

Redaktion